Letzten Sommer stieg ich zum aller ersten Mal in ein Boot mit rollenden Sitzen. Durch eifriges E-Mail-Checken bekam ich einen Platz im Anfängerkurs. Mein Team war toll. Der Anfang war schwer, aber mit der Zeit wurde ich sicherer. Schnell über die Wasseroberfläche zu fahren, den Fluss zu spüren, die klare Luft zu schnuppern und die körperliche Anstrengung zu fühlen, gaben mir ein überwältigendes Gefühl.
Der Sommer ging zu Ende, die Tage wurden kürzer und ich fand immer weniger Gelegenheit, raus aufs Wasser zu gehen. Als mich Ende Oktober eine Ruderkollegin fragte, ob ich Lust hätte, mit auf eine Wanderfahrt nach Marbach zu kommen, zögerte ich. Eine Wanderfahrt Ende November?
Warum eigentlich nicht, dachte ich mir – beim Rudern wird einem warm und wenn wir Glück haben, bleibt es mild bis Weihnachten und wir können im T-Shirt raus. Leider wurden diese Erwartungen nicht erfüllt. Am Morgen der Abfahrt waren es gefühlte Handschuhe-Thermoskannen-kalte Null Grad und meine Motivation war irgendwo auf dem Weg zum Bootshaus festgefroren.
Als mich dann aber die gut gelaunte und abenteuerlustige Wanderfahrts-Gesellschaft vor dem Bootshaus empfing, waren alle Zweifel wie weggerudert. 17 Kameradinnen und Kameraden wurden in die Barke, ein Vierer-Gig-Boot und einen Dreier eingeteilt. Auf Kommando unseres Organisators H.-D. wurden die Boote zu Wasser gelassen. Unser Reisegepäck mit Zahnbürsten und Unterbuxen wurde elegant von H.-D.s besserer Hälfte Martina mit dem Auto nach Marbach gefahren. Die Barke transportierte unsere wertvollste Fracht: 20 Liter frisch gebrauten Glühweins.
Auf Los ging’s los. Bis zur ersten Schleuse am Leuze war es quasi ein Heimspiel. Sobald wir die Wilhelma hinter uns hatten, erschlossen sich uns neue Flusswelten. Ich war bis zur ersten Pause in Remseck mit Steuern an der Reihe. Das hatte den Vorteil, dass ich mich mal richtig in der neuen Landschaft umgucken konnte, aber auch den Nachteil, dass mir ziemlich kalt wurde. Aber bereits in der ersten Schleuse gab’s Glühwein. Der erwärmte mich schnell wieder und machte unsere Stimmung noch ausgelassener, als sie ohnehin schon war. Der Geruch nach Gewürzen und Wein erfüllte die algigen Schleusenbecken mit einer unerwarteten, vorweihnachtlichen Gemütlichkeit.
In Remseck vertauten wir die Boote beim ortsansässigen Ruderclub und marschierten hungrig zum ufernahen „Ochsen“. Deftig schwäbische Hausmannskost erfüllte all unsere Wünsche auf Mittagessen nach dreistündiger Ruderei. Als jeder seinen Leberkäs‘ und seine Schlachtplatte verstaut hatte, ging es wieder weiter. Mit jedem Ruderschlag wurde die Landschaft ein bisschen idyllischer. Vorbei an der schönen Altstadt von Hoheneck und am mittelalterlichen Brückenhaus in Ludwigsburg …
Beim Steuern wurde nun der Reihe nach durchgewechselt und ich konnte mich richtig warmrudern. Als wir unser Ziel Marbach am späteren Nachmittag erreichten, war es bereits dämmrig und ich hatte Schwierigkeiten, das Wort Glühwein zu buchstabieren.
Wir verstauten und sicherten unsere Boote und stiegen zur Altstadt hinauf.
In unserer Herberge „Schillerhof“, einem altehrwürdiges Fachwerk-Gasthaus aus barocker Zeit, warteten bereits warme Duschen und unser Gepäck auf uns. Beim leckeren Griechen um die Ecke ließen wir den Tag dann entspannt ausklingen. Es fühlte sich ein kleines bisschen wie Klassenfahrt an …
Ich schlief wie ein Baby – bis ich mich am nächsten Morgen mit den anderen zum Fluss runter gehen sah. Die Sonne war gerade aufgegangen, der Novembernebel lag noch über dem klaren grauen Wasser. Die Boote waren eiskalt und nass. Wir ließen sie ins Wasser und machten uns auf den Heimweg. Jedes Skull und jeder Riemen hinterließ ein klares, geometrisches Muster auf der eisigen Wasseroberfläche.
Einige Schleusen weiter oben und nach einige Tassen heißen Glühweins, erreichten wir Stuttgart-Hofen. Dort empfing uns lachend und winkend Irmi (die Tante von der Nichte der Oma das Patenonkel von H.-D.s Frau ^^). Irmi wohnt gleich an der Schleuse und hat schon viele Ruderwanderfahrten vor uns mit köstlichem Mittagessen versorgt. In ihrem gemütlichen Partykeller gab es leckeres Gulasch in reichlicher Menge für uns alle. Die Tatsache, wie eine Frau solche Portionen kochen kann, die dann auch noch so gut schmecken, ist mir immer noch ein Rätsel.
Für einen Verdauungsschlaf nach dem Essen war leider keine Zeit, wir mussten stromaufwärts zurück, bevor es dunkel wurde. Irmi winkte uns zum Abschied und wir hofften alle, nächstes Jahr wieder kommen zu dürfen.
Beim Kraftwerk Münster hatte uns die Großstadt wieder zurück. Der letzte Rest Glühwein wurde noch schnell am Kran getrunken.
Und dann, nach 60 km Neckar und 24 HippHippHurra für alle winkenden Schleusenwärter, erreichten wir trockenen Fußes wieder unseren Heimathafen.
Länger als zwei Stunden am Stück hatte ich davor noch nicht gerudert. Ich musste feststellen, dass es gar nicht so anstrengend oder kalt war, wie ich am Anfang befürchtet hatte. Es war vor allem ein großer Spass in einer lieben Gemeinschaft und ich würde gleich wieder mitkommen.
Arndt Bareth